KSG Andernach


Entsetzen und Trauer über die Morde in Erfurt



Auf den Schulhöfen der Andernacher Gymnasien scheint am Montagmorgen auf den ersten Blick alles normal. Die Oberstufenschüler stehen an ihren Stammplätzen, unterhalten sich, es wird gelacht. Die Jüngeren toben über den Schulhof und machen die üblichen derben Witze. Doch wer genauer hinschaut, der merkt, daß irgend etwas doch nicht ganz normal ist. Immer wieder fällt in den Gesprächen das Wort "Erfurt".

Erfurt ist zwar geographisch weit weg, doch für die Andernacher Schüler dieser Tage ziemlich nah. Ein Gymnasium wie ihres ist dort Opfer eines Schülers geworden, der durchdrehte und wild um sich schoß. Ein Oberstufen-Schüler, wie er auch in Andernach zur Schule gehen könnte.

Diese Möglichkeit läßt im Schulzentrum Andernach niemanden kalt. In den Lehrerzimmern wird heftig diskutiert. "Da ist Erfurt ein ganz, ganz heißes Thema", sagt die Schulleiterin des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums, Marion Stähle. Die Lehrer sind jetzt besonders gefragt, müssen Hilfestellung geben, ohne in Aktionismus zu verfallen. "Es geht darum, eine Ausdrucksform für die Gefühle zu suchen", erklärt Eberhard Häckell, Schulleiter am Kurfürst-Salentin-Gymnasium.

Kondolenzbücher auslegen
Eine solche Ausdrucksform ist die Gedenkminute, die viele Klassen auf eigenen Wunsch zu Unterrichtsbeginn am Montag einlegten. Eine weitere ist ein offener Brief, den die beiden Gymnasien, die Geschwister-Scholl-Realschule und die Duale Oberschule an die Betroffenen in Erfurt gerichtet haben (siehe Auslagerung). Seit heute liegen in allen Schulen Kondolenzbücher aus, in die sich Schüler und Lehrer eintragen können. Die Bücher werden Anfang nächster Woche mit dem offenen Brief nach Erfurt geschickt. Wenn am Freitag in Erfurt die Bevölkerung in einer Trauerfeier Abschied von den 18 Opfern nimmt, wollen die Schüler des Andernacher Schulzentrums mit einer Mahnwache ihre Solidarität beweisen.

Auch im Unterricht geht das Thema Erfurt nicht einfach an Schülern und Lehrern vorbei. "Wir erleben heute morgen die Schule relativ ruhig", sagte Häckell gestern. "Das ist kein normaler Alltag." Die Lehrer verzichteten auf Leistungsüberprüfungen, boten statt dessen ihren Schülern Gelegenheit, über ihre Gefühle zu sprechen.

Angst gehe allerdings keine um, so Schulleiter Häckell. "Meine Ansicht ist folgende: Wir sind überall von vielen Gefahren umgeben. Wir dürfen das Vertrauen nicht verlieren, daß auch positive Dinge passieren." Auch Schulleiterin Marion Stähle sieht das Positive in der Tragödie: "Es schadet nicht, wenn Schüler und Lehrer einmal innehalten und über das eigene Handeln nachdenken."

Allerdings warnen beide davor, jetzt überstürzt das Ganze in Andernach hochzuschaukeln. "Bei allem Mitgefühl: Das ist ein Einzelfall", betont Marion Stähle. Und fordert: "Wir müssen relativ schnell zum Tagesgeschäft zurückkehren."
Andrea Niebergall


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Offener Brief mit Worten des Beileids
"Das Schulzentrum Andernach gedenkt in einem Offenen Brief der Opfer am Gutenberg-Gymnasium Erfurt: Die Schulgemeinschaft des Schulzentrums Andernach ist tief betroffen über die schrecklich Gewalttat, die ein ehemaliger Schüler des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums am 26. April 2002 in eurer/Ihrer Schule verübte.

Wir trauern mit euch/Ihnen um die 17 Menschen, die dabei ihr Leben verloren. Wir denken an die Verletzten, wir drücken allen Verwandten und Freunden unser Mitgefühl aus. Diese unbegreifliche Tat wird auch uns darin bestärken, den Einsatz für ein gewaltfreies Miteinander im Schulleben fortzusetzen."
Kurfürst-Salentin-Gymnasium, Schulleiter Eberhard Häckell
Bertha-von-Suttner-Gymnasium, Schulleiterin Marion Stähle
Geschwister-Scholl-Realschule, Schulleiter Walter Betzing
Duale Oberschule, Schulleiter Manfred Erbar
RZ 30. April 2002