Vorträge
Heinz Kahn aus Polch will erinnern und mahnen, aber Auschwitz niemals wiedersehen
Am Montag, den 8. Mai 2006, 41 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, erlebten Schüler der damaligen 10, 11. und 12. Jahrgangsstufe zwei besondere Geschichtsstunden. Dr. Heinz Kahn, Träger des Bundesverdienstkreuzes und überlebender der KZs von Auschwitz und Buchenwald, stand uns als Zeitzeuge zur Verfügung und berichtete in eindringlicher und authentischer Weise von seinen Erfahrungen mit dem Nazi-Regime. Der 83jährige, der als einziger seiner Familie den Holocaust überlebte, betreibt trotz seines hohen Alters noch eine Tierarztpraxis in Polch und engagiert sich als Vorsitzender in der jüdischen Kultusgemeinde Koblenz.
Vor uns saß ein agil wirkender älterer Herr, der es manchmal selbst nicht fassen kann, daß er zu den wenigen gehören darf, die der Hölle von Auschwitz entkommen konnten. Gebannt hörten die Schüler ihm zu, obwohl oder gerade weil er ihnen schlimme Einzelheiten über die Greueltaten der Nazis ersparte.
Er war erst 20 Jahre alt, als er zusammen mit seiner Familie und Hunderten von jüdischen Häftlingen am Abend des 3. März 1943 in Viehwagons in Auschwitz ankam, wo er seine Eltern und seine Schwester zum letzten Mal sah. Man merkte Dr. Kahn an, wie sehr ihn das noch heute berührte. Die letzten Worte seines Vaters waren: "Du bist arbeitsfähig, du wirst überleben!" Nachdem SS-Leute den neuangekommenen Häftlingen ihre persönlichen Gegenstände wie Schmuck und Geld abgenommen hatten, mußten sie sich ausziehen, wurden geschoren, mit einer ekelhaften Brühe desinfiziert und zum Abtrocknen bei minus 15 Grad auf den Appellplatz geschickt. Danach kam Dr. Kahn in Block 7, wo kurz zuvor 250 Plätze durch Vergasen der Häftlinge "geräumt" worden waren. Am nächsten Morgen wurde ihm seine Häftlingsnummer eintätowiert, die, wie man sagte, dazu diente, die Toten zu identifizieren. Die Nummer 105110 an seinem linken Unterarm ist noch heute deutlich zu erkennen. Als er seinen Arm entblößte und die Nummer sichtbar wurde, herrschte in unserem Klassenraum Totenstille. Erst nach einer Weile fuhr Dr. Kahn mit seinem Bericht fort und erzählte von seinem täglichen überlebenskampf, um dem Tod zu entkommen. Er überlebte "mit viel Glück und Zufall", wie er selbst sagte. Aber es waren vor allem seine außergewöhnliche Geschicklichkeit und seine besonderen Begabungen, die ihm in dieser Notsituation von ganz großem Nutzen waren. So übertrug man ihm sehr schnell zusätzliche Aufgaben als Sanitäter, Handwerker, Häftlingsschreiber oder Lagerläufer. Das verschaffte ihm gewisse Privilegien, machte ihn aber nur deswegen zufrieden, weil er dadurch viel für die Mitgefangenen tun konnte. Einmal mußte er Löcher in eine Betonhallendecke für Elektroleitungen schlagen. Da die dort benutzen Meißel schnell stumpf wurden, durfte er diese in einer nahe gelegenen Feldschmiede wieder schärfen. Diese Möglichkeit nutzte er, um Holzkohle herzustellen, die er an seine Mithäftlinge gegen Durchfall verteilte. Hier schmiedete er auch Feuerhaken, um sie gegen Brot einzutauschen.
Die Bilder, die uns Dr. Kahn vor Augen führte, sind für ihn noch so lebendig, als wäre alles erst gestern geschehen. Dabei hinterließen seine schlauen Tricks teilweise einen fast "positiven" Eindruck vom Lagerleben, was aber gerade die Ausweglosigkeit der Situation um so deutlicher spüren ließ. Dr. Kahn vermittelte uns seine ganz persönliche Sicht, mit der Vergangenheit von Auschwitz umzugehen und leistete somit einen ganz wichtigen Beitrag, Geschichte lebendig zu erfahren.
Fabian Girgert
Bürgerrechtler diskutierte mit Schülern
Für ihre Reihe "Gespräche mit Zeitzeugen" sucht das Kurfürst-Salentin-Gymnasium stets nach interessanten Referenten. Die Schüler der Jahrgangsstufen zwölf und dreizehn erlebten jetzt einen spannenden Vortrag des Schriftstellers und Bürgerrechtlers Utz Rachowski. Er erzählte aus eigener Erfahrung über das Schicksal von Freidenkern in der DDR.
Als Sechzehnjähriger wurde der gebürtige Sachse auf dem Schulhof verhaftet und von Mitarbeitern der Staatssicherheit verhört. "Eigentlich war ich ein ganz normaler Schüler so wie ihr", blickt der Dreiundfünfzigjährige zurück. Schon der Bau der Berliner Mauer prägte sich stark bei ihm ein, als im August 1961 sein Onkel nach West-Deutschland flüchtete. "Jeder dachte, es gibt eine Konfrontation zwischen Amerikanern und Russen, und meine Eltern waren in heller Aufregung." Daß sich etwas verändert hatte, bemerkte Utz Rachowski bereits beim Eintritt in die erweiterte Oberschule. "Ich bin in einer Kaserne", dachte er angesichts des morgendlichen Fahnenappells und der in blauen Hemden und Armbinden patrouillierenden Schüler. Als Folge zog er sich mit anderen Mitschülern immer mehr vom Unterricht zurück, las lieber in der Freizeit philosophische Schriften und diskutierte.
Ein Spitzel denunzierte die Gruppe jedoch. Sie wurden von der Staatssicherheit in der Schule festgenommen und verhört.
Utz Rachowski berichtete den interessierten Schülern des KSG auch von seinem Kontakt mit dem im Jahr 1999 verstorbenen Bürgerrechtler Jürgen Fuchs und seinem weiteren Lebenslauf. Nach einer erneuten Verhaftung wurde er auf Initiative von Amnesty International nach einem Jahr Gefängnishaft entlassen und im Jahr 1980 ausgebürgert. "Am Anfang war ich recht euphorisch, weil ich jetzt ungehindert publizieren konnte", erzählte Rachowski. Später jedoch litt er unter dem Verlust von Freundschaften. über seinen Widerstand gegen das Stasi-Regime hat Rachowski beispielsweise auch in dem Buch "Red mir nicht von Minnigerode" berichtet, aus dem er auch den KSG-Schülern Passagen vorlas. D
en von der Konrad-Adenauer-Stiftung geförderten Vortrag betreute Annemie Girgert, Leiterin der Fachkonferenz Geschichte. Die Reihe "Gespräche mit Zeitzeugen" wurde vor drei Jahren am Kurfürst-Salentin-Gymnasium ins Leben gerufen. (sil)
RZ, 13. Febr. 2006