KSG Andernach


Amokdrohung löste Großeinsatz der Polizei im Andernacher Schulzentrum aus



Aufregung im Schulzentrum Andernach: Ein anonymer Täter hatte mit Schmierereien eine Amoktat angekündigt - und einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Zwar kam es nicht zum äußersten. Aber ein Unbehagen bei Schülern, Eltern, Lehrern und der Polizei bleibt.

Um 17 Uhr atmete Marion Stähle durch. Die Leiterin des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums in Andernach (Kreis Mayen-Koblenz) genehmigte sich erst einmal einen Kaffee. Gerade eben war ihr wohl angespanntester Arbeitstag zu Ende gegangen. Und sie zog die bestmögliche Bilanz: Es ist nichts passiert.

Die Polizisten traten vorläufig den Heimweg an; die letzten Eltern holten ihre Kinder von der Schule ab. Wer auch immer den Anschlag auf das Schulzentrum für den 13. Dezember angedroht hatte, seine Worte blieben eine leere Drohung. "Das war vermutlich ein Trittbrettfahrer", hatte es von der Polizei bereits am Vortag geheißen. "Wirkliche Amoktäter sagen nicht, wann genau sie zuschlagen, sie tun es einfach", meinte ein Kriminalist. Nach dem Amoklauf im nordrhein-westfälischen Emsdetten "gab es acht solcher Drohungen in Rheinland-Pfalz", so ein Sprecher des Innenministeriums. Aber nicht immer rückte die Polizei mit Dutzenden Beamten aus.

Parole am Briefkasten
Im Fall Andernach kamen gleich zwei brisante Sachverhalte zusammen. Ein anonymer Täter hatte mit schwarzem Stift Gewaltdrohungen mit mädchenfeindlichen Tendenzen an einen Briefkasten des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums und eine Fensterscheibe der Dualen Oberschule geschmiert. Zudem wurde im Internet eine Attacke auf zwei Lehrerinnen angekündigt. Die Polizei erhielt einen entsprechenden E-Mail-Hinweis von Teilnehmern einer Runde "Counter-Strike" im Internet, eines umstrittenen Kriegsspiels. Grund genug für die besorgte Polizei und die Leiter des Schulzentrums, ein Zeichen zu setzen. Die Schüler bekamen am Dienstag einen Brief in die Hand, in denen den Eltern ein Polizeieinsatz angekündigt wurde. Die Eltern konnten frei entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken.

Der Verfasser der Internet-Botschaft ist inzwischen ermittelt und geständig. Er hatte nicht wirklich eine Bluttat geplant. "Den anderen erwischen wir auch noch", so Kriminalhauptkommissar Ralf Schomisch, Sprecher des Polizeipräsidiums Koblenz. "Bisher haben wir in Rheinland-Pfalz alle Täter ausfindig gemacht." Die Polizei läßt nicht locker - auch um Nachahmer abzuschrecken.

Gestern morgen begann der Einsatz der Polizisten in der Morgendämmerung. Vier Schulen zählen zu dem verschachtelten Gebäudezentrum an der Andernacher Salentinstraße. Das unübersichtliche Gelände ist für die Sicherheitskräfte ein Albtraum. Um es einigermaßen absichern zu können, wurde nur ein Eingang pro Schule geöffnet und durch Beamte geschützt. Die Polizisten kontrollierten Taschen, hielten nach Verdächtigen Ausschau.

Nur die Hälfte der 3000 Schüler erschien zum Unterricht. "Meine Mutter hat mich zehnmal umarmt, sie wollte nicht, daß ich in die Schule gehe", erzählte Meike Scheunemann. Doch die neunzehnjährige wollte die wichtigen Leistungskurse nicht verpassen, in denen sie Abitur machen will.

Ob sich das Klima an den Schulen verändert hat? "Die Gewaltbereitschaft wächst", sagte Meike nachdenklich. "Früher haben sich Schüler umgebracht, aber nicht andere getötet." Sonja Loock (18) glaubt, daß es inzwischen mehr unzufriedene junge Leute gibt - auch in Andernach. "Die hängen abends rum und wissen nicht, was sie tun sollen."

Wer war der Täter?
Im Schulzentrum zerbrechen sich die Lehrer jetzt die Köpfe, von wem die Schmierereien stammen könnten. Ist es ein junger Mann, den seine Freundin verlassen hat und der nun seinen Frust abreagiert? Ist es ein Schüler, der schlechte Leistungen brachte und mit dessen Eltern die Lehrer sprachen? Hat jemand im Zorn die Schule verlassen? Lehrer und Polizei versuchen, Verdächtige einzukreisen - bislang noch ohne Erfolg.

"Wir fragen uns, was bei uns schiefläuft", sagte Bertha-von-Suttner-Schulleiterin Marion Stähle. Die Oberstudiendirektorin wünscht sich, daß sie mehr Stunden für die Vertrauenslehrer bewilligt bekommt. "Wir müssen uns besser um die Schüler kümmern", sagte sie. Schulelternsprecherin Karen Weißheimer regte an, sich mit übungen nicht nur gegen Großbrände, sondern auch gegen Gewalttaten zu wappnen.

Im Bertha-von-Suttner-Gymnasium gingen gestern Abend erst spät die Lichter aus. Der Einsatz wurde noch lange ausgewertet. Die Polizei wird auch heute und morgen noch präsent sein. "Doch was ist dann?", fragen manche mit flauem Gefühl. "Was ist, wenn niemand mehr mit einem Anschlag rechnet?"

Dietmar Brück / Christian Kirstges
RZ, 14. Dez. 2006