Zum Wahlspruch "In Lumine Tuo Domine" ("In deinem Licht, o Herr")
Das Wappen von Dr. Stephan Ackermann |
"In Lumine Tuo Domine" ist ein Zitat aus Psalm 36, genauer gesagt, ist es sogar nur ein Teil des 10. Verses dieses Psalms. Schauen wir zum besseren Verständnis auf den Psalm selbst: Seiner Entstehung nach gehört Psalm 36 zu den späten, das heißt den nachexilischen Teilen des Psalmenbuchs (nach 538 v. Chr.). Er ist ein Gebetslied, das dunkel und schwermütig beginnt: Klagend beschreibt der Psalmbeter das bedrängende Treiben von Menschen, die Gott nicht fürchten und daher ohne Skrupel zum Bösen entschlossen sind. Doch im Fortgang des Gebets besinnt sich der Psalmist auf Gott als den Schöpfer und Herrn des Himmels und der Erde, erinnert sich daran, daß Gottes Gerechtigkeit grundlegender, umfassender und am Ende siegreicher ist als alle Ungerechtigkeit der Menschen. Das läßt den Psalmbeter neuen Mut schöpfen und dankbar ausrufen: "Herr, bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht!" Mein bischöflicher Wahlspruch greift den Schlußteil eben dieses Bekenntnisses auf: "In deinem Licht, o Herr, schauen wir das Licht."
Licht von Gottes Angesicht
Auf's erste Hören klingt dieser Satz poetisch-eingängig. Doch bei näherem Nachdenken gibt er Rätsel auf: Braucht man denn, um Licht zu sehen, ein anderes, ein zusätzliches Licht? Was heißt "in deinem Licht schauen wir das Licht"? Sieht man eine Lichtquelle nicht besser, wenn es ansonsten dunkel ist? Der Sinn dieses Satzes klärt sich auf, wenn man weiß, daß im Alten Testament Gottes Licht sehr häufig in einem Atemzug genannt wird mit Gottes Angesicht. So etwa bei dem berühmten Segen des Aaron, in dem es heißt:, "Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig" (Num 6,25). Wenn Gott dem Menschen sein Angesicht zeigt, dann ist er nahe. Gottes Nähe macht das Leben des Menschen hell. Und das "Leuchten von Gottes Angesicht" zeigt, daß Gott kein maskenhaft-starrer Götze, sondern ein lebendiges Gegenüber ist. Wo wird schon - rein menschlich gesehen - eine Beziehung konkret erfahrbarer als in der gegenseitigen Zuwendung menschlicher Gesichter? Welch eine "aufhellende" Wirkung ein Gesicht hat, das uns "anstrahlt", weiß jeder! Wo wir uns auf diese Weise angeschaut wissen, fühlen wir uns angenommen, aufgerichtet, getröstet und gewinnen neuen Mut. Nicht selten gibt eine solche Zuwendung dem Leben einen ganz neuen Sinn. Die alttestamentlichen Beter wußten darum und richteten deshalb an Gott die Bitte "Herr, laß dein Angesicht über uns leuchten" (Ps 4,7).
Damit entschlüsselt sich der Sinn des Verses aus Psalm 36. "In deinem Licht schauen wir das Licht", das will sagen: Gott, wo du nahe bist mit dem Licht deiner Gegenwart, da sehen wir Licht im Zwielicht und im Dunkel unseres Lebens, da sehen wir das Licht wirklichen Sinns, da fassen wir Mut, weil wir eine neue, ja die entscheidende Perspektive für unser Leben erhalten. Was für ein frohmachendes Bekenntnis! Und dennoch. Bei aller berührenden Intensität bleibt auf der alttestamentlichen Bildrede vom "leuchtenden Antlitz Gottes" irgendwie ein geheimnisvoller Schatten. Denn trotz seiner erfahrbaren Nähe ist Gott zugleich derjenige, der verhüllt ist in einer Wolke (Ex 19,9; 20,21), dessen Angesicht niemand sehen kann, der nur im Vorübergehen und "vom Rücken her" (Ex 3 3,20ff/ 1 Kön 19,11) erkannt wird.
Christus - Gottes Ebenbild
Erst in Christus, dem "Ebenbild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15), löst sich diese Paradoxie auf, gewinnt die bildhafte Rede vom Antlitz Gottes eine ganz neue Konkretheit. lm menschlichen Antlitz Jesu wird Gott für den Menschen erst wirklich ansichtig. Kein Wunder, daß die Hymnen des Neuen Testaments Jesus besingen als das "aufstrahlende Licht aus der Höhe" (Lk 1,78), als "das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet" (Joh 1,9). Jesu Botschaft und Person werfen ein ganz neues Licht auf diese Welt: Es ist das Licht des Evangeliums, das vom Reich Gottes kündet, das Heilung für Leib und Seele verheißt, das Wege zu Versöhnung und Frieden zeigt und das schließlich den Sieg der Liebe über Haß und Tod bezeugt. In der Botschaft und Person Jesu enthüllt sich der wahre Sinn der Schöpfung wie der Geschichte, gewinnt das Leben eine unerhört neue und lichtvolle Perspektive: Denn von nun an liegt das definitive Ende von Welt und Menschen nicht mehr im allesverschlingenden Dunkel des Todes, sondern im strahlenden Licht des Ostermorgens. "Lumen Christi" lautet der Ruf, der das Ende der Nacht ankündigt. Wer darauf mit "Deo gratias" antwortet, sollte sich der Konsequenzen bewußt sein: Er kann sein Leben nicht mehr anders verstehen als von Jesus Christus her. Das Licht Christi schenkt und fordert zugleich ein neues Sehen. Keiner hat das wohl stärker erfahren und ausgedrückt als Paulus, der vor den Christen in Korinth bekennt: Von jetzt an schätzen wir niemand und nichts mehr nur nach menschlichen Maßstäben ein. Denn die Liebe Christi drängt uns, und wir haben erkannt: Einer ist für alle gestorben (Vgl. 2 Kor 5,14-16). In diesem Sinn verstehe ich den Wahlspruch aus Psalm 36 als Lebensprogramm. Dieses "Programm" soll meinen Umgang mit der Wirklichkeit, mit Welt und Menschen grundlegend prägen.
Verborgener Glanz
"In deinem Licht, o Herr!" Verführt aber ein solcher Wahlspruch nicht zu der irrigen Annahme, daß ein Christ, zumal ein Bischof, nur helle, glanzvolle Tage zu erwarten hat? Wohl kaum. Wer den ganzen Psalm kennt, der weiß, daß dem Beter (auch dem christlichen!) Dunkelheiten und Anfechtungen nicht fremd sind. Allerdings ruft der Spruch durchaus dazu auf den verborgenen Glanz von Situationen und die verborgene Würde von Menschen aufzuspüren. Denn er ermutigt, im Licht von Gottes Angesicht hinzuschauen auch auf das, was ansonsten allzu leicht im Dunkeln bliebe. Nicht zuletzt bewahrt das Psalmwort auch vor dem Wegschauen. Denn es spricht von der gläubigen Gewißheit, daß am Ende einmal alles und jedes eingetaucht wird in das Licht Gottes, das nicht gleißend, kalt und entblößend, sondern freundlich, wärmend und erleuchtend ist.
Unter dieser Perspektive habe ich versucht, die Menschen, die mir in meiner Zeit als Regens in Lantershofen anvertraut und zur Seite gestellt waren, anzuschauen. Mit diesen Augen möchte ich auch auf die Menschen zugehen, die mir nun in meinem bischöflichen Dienst begegnen. Zugegeben, das ist eine grundoptimistische Perspektive, aber entspricht sie nicht viel mehr unserem Glauben an die Erlösung als alle Schwarzseherei?
Stephan Ackermann
(Paulinus-Kalender 2007)
(Paulinus-Kalender 2007)