KSG Andernach


Dr. Wolfgang Fischer:
Das Salentiner-Gespräch vom 9. Mai 2003



Das Gespräch zu dem Thema "Schulqualität - Lebensqualität. Schule im Spannungsfeld der Vermittlung von Wissen und Werten" fand am 9. Mai 2003 im Foyer des Kurfürst-Salentin-Gymnasiums statt. Man hatte hundert Stühle aufgestellt, die fast alle besetzt waren. Erschienen waren zahlreiche ehemalige Salentiner - ergraute Häupter waren ebenso vertreten wie junge Semester -, Mitglieder des Lehrerkollegiums, des Schulelternbeirats. Auch einige interessierte Schüler waren gekommen. Die Resonanz war also sehr erfreulich.

Die Beschallung hatte die Tontechnik-AG der Schule unter der Leitung von Stephan Röder übernommen. Dank ihrer perfekten Arbeit waren die Worte der Gesprächsteilnehmer auf dem Podium auch in der hintersten Reihe sehr gut zu verstehen. Stephan Röder und seinen Mitarbeitern sei deshalb herzlich gedankt.

Eröffnet wurde das Salentiner-Gespräch durch den Schulleiter, Oberstudiendirektor Eberhard Häckell, der zunächst die Arbeit der Vereinigung der ehemaligen Salentiner würdigte und dem Vorstand für die Organisation der Veranstaltung dankte. Anschließend stellte er die Gesprächsteilnehmer auf dem Podium vor, nämlich Weihbischof Dr. Felix Genn (Abiturientia 1969), Prof. Dr.-Ing. Peter Frings (Abiturientia 1968), Jutta Gaide (Abiturientia 1993) und Sebastian Bourmer (Abiturientia 2003) und dankte ihnen für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. Er gratulierte auch Weihbischof Dr. Felix Genn zu seiner Ernennung zum Bischof von Essen.
Teilnehmer am Forum 2003
Teilnehmer am Podiumsgespräch vom 9. Mai 2003: Sebastian Bourmer (Abiturientia 2003), Weihbischof Dr. Felix Genn (Abiturientia 1969), OStR Wolfgang Schwarz , Prof. Dr.-Ing. Peter Frings (Abiturientia 1968) und Jutta Gaide (Abiturientia 1993).
Foto: Peter Heinsch


Oberstudienrat Wolfgang Schwarz, der das Gespräch in bekannt guter Weise leitete, stellte in seinen einleitenden Worten fest, daß das Thema zur Zeit Konjunktur habe, und erinnerte an Stichworte wie PISA oder TIMSS. Das Thema spreche auch viele Menschen an. Das Gespräch, so sein Wusch, solle sich nicht in akademischen Gedanken und Theorien erschöpfen, sondern eine ideologiefreie Rückkoppelung zur Schulpraxis bringen. Leider werde die Schulpolitik stark unter ideologischen Aspekten betrieben.

Das Einleitungsreferat Dr. Genns

Weihbischof Dr. Genn gab in seinem einleitenden Referat seiner Freude Ausdruck, an seine alte Schule zurückzukehren, an der er 1969 seine Reifeprüfung abgelegt habe. Er verstand sich selbst als "wertkonservativ", und was er in der Schule gelernt habe, klinge heute noch in ihm nach. Wir lebten heute in einer Wissensgesellschaft. Doch das Sachwissen sei allein nicht ausreichend, sondern bedürfe einer normativen Einordnung in ein Wertesystem. Hier sah Dr. Genn das Aufgabenfeld der Schule. Sie stehe im Spannungsfeld zwischen Wissen und Werten. In diesem Zusammenhang berichtete der Referent von eigenen Erinnerungen an den Schulunterricht am Kurfürst-Salentin-Gymnasium, die er "als kostbaren Schatz" aufbewahrt habe. Das humanistische Gymnasium, an dem man die alten Sprachen Latein und Griechisch lernen konnte, sei damals als weltfremd verachtet worden. Demgegenüber betonte Dr. Genn, daß die Lehrpläne des humanistischen Gymnasiums sich keineswegs auf die alten Sprachen beschränkten. Der Lehrstoff habe ihm die Welt des Wissens und der Werte vermittelt, so zum Beispiel, daß es besser sei, Unrecht zu erleiden, als selbst Unrecht zu tun. Er habe die Schule auch als Lernfeld der Demokratie erlebt. Entscheidend sei gewesen, wie das Wissen durch seine Lehrer vermittelt worden sei. Er habe damals persönlich erlebt, wie eine Schule durch die Qualität der Lehrerinnen und Lehrer geprägt werde, die an ihr unterrichteten.

Anschließend trug Dr. Genn einige Thesen vor, mit deren Hilfe man eine gute Schule erkennen könne.
  • Schule sei nicht Teil des Erwerbssystems, sondern dessen Bedingung.
  • Schule solle so viel Wissen wie möglich vermitteln.
  • Die Einordnung des Wissens sei eine Wertentscheidung, an der sich die Geister schieden.
Unter Berufung auf den ehemaligen Verfassungsrichter Ernst Wolfgang Böckenförde plädierte Dr. Genn für einen Rückgriff (er vermied bewußt den Begriff "Rückkehr") auf das klassische Bildungsideal, und dieses Bildungsideal bleibe humanistisch. Für Bildung und Erziehung sei jedoch der Wertbegriff letztlich unverzichtbar. Dabei stellte er unter Anlehnung an Kardinal Lehmann fest, daß "jeder Fächerkanon, jeder Stunden- oder Lehrplan" auf Entscheidungen beruhe, "welche Inhalte und Gegenstände es wert sind, unterrichtet zu werden". Es gehöre zu den Aufgaben der Gesamtkonferenz, sich mit dem Problem der Werte auseinanderzusetzen und zu versuchen, eine "Einigung auf wenige Kernwerte" zu erreichen. Dabei müsse man sich bewußt werden, daß der Mensch nicht alles tun dürfe, "was er kann". Schule müsse sich den Menschen zum Maß nehmen, aber, anders als die griechischen Sophisten, nicht zum Maß aller Dinge machen. Erst durch den Bezug auf das Gute erhalte der Mensch seine Würde. Andernfalls werde er der Willkür ausgeliefert. Folglich werde eine Schule zu einer guten Schule, wenn sie an dem Menschen Maß nehme und das Gute auf Gott beziehe. Dann sei die Schule der Ort, der den Menschen "zukunftsfähig" mache. Eine Schule, die Vertrauen schaffe, trage ihr Fundament in sich.

Die Zuhörer dankten Dr. Genn für diesen Beitrag mit lang anhaltendem Beifall.

Weitere Beiträge zum Podiumsgespräch

Sebastian Bourmer meinte in Anschluß an dieses Referat, daß die gesellschaftlichen Veränderungen auch Veränderungen in der Schule zur Folge gehabt hätten und die allgemein zu beobachtenden Verhaltensweisen wirkten sich selbstverständlich auch auf die Schüler aus. Dabei bemängelte er, daß die Bildungsstudien der letzten Jahre zur Vermittlung von Werten keinen Aussagen machten, dafür aber der Schüler zur Konkurrenz antreibe, damit die jungen Menschen "schnell verwertet werden" könnten. Für sich persönlich könne er sagen, daß er so etwas am Kurfürst-Salentin-Gymnasium nicht erlebt habe. Er könne auch sagen, daß, obwohl sein Abitur erst wenige Wochen zurückliege, bereits die Erinnerung aufkomme, daß "die Schule schön war".

Prof. Frings nutzte seinen Beitrag, um seine Fachhochschule mit in der Standorten in Koblenz, Remagen und Höhr-Grenzhausen vorzustellen. Die Wirtschaft verlange von den Schülern nicht nur fachliche, sondern auch soziale und persönliche Kompetenzen. Unter Berufung auf Albert Einstein forderte er, daß die Schule den jungen Menschen als harmonische Persönlichkeit und nicht als Spezialisten entlassen solle. Der 11. September 2001 habe ihn aufgerüttelt, weil die Attentäter Leute waren, die in Deutschland perfekt ausgebildet worden seien. An diesem und anderen Beispielen erläuterte er, daß nicht das Fachwissen entscheidend sei, sondern dessen Anwendung. Daher sei es unbedingt erforderlich, jedem Menschen außer Fachwissen auch moralische und ethische Werte zu vermitteln. Die Tendenz sei aber, daß Bildung immer stärker nur als Fachbildung verstanden werde. Dies sei einerseits durch den Sparzwang der öffentlichen Kassen bedingt, liege aber auch daran, daß Schüler, Eltern, Lehrer, Hochschule und Wirtschaft unterschiedliche Wertvorstellung hätten. Die Schüler seien heute zu sehr an den Noten orientiert. Sie müßten lernen, daß gute Abschlußprüfungen Mängel in der Persönlichkeit nicht ausgleichen könnten. Genauso wenig könne man sagen, daß ein Schüler mit schlechten Noten auch schlechte menschliche Qualitäten habe. Es gebe Fächer, darunter der Sportunterricht, die einem Schüler nur wenig Fachwissen vermittelten. Trotzdem sei Sport für das Leben sehr wichtig. Prof. Frings verband diese Feststellung mit einem großen Lob an seinen eigenen Sportlehrer Walter Scheer, der es durch den Sport verstanden habe, die Leistungsbereitschaft seiner Schüler entscheidend zu stärken. Diese Stärkung der Leistungsbereitschaft müsse auch das Ziel des Unterrichts aller anderen Fächer sein, wobei man das Gute nie als Ziel aus dem Auge verlieren dürfe. So könne die Schule den jungen Menschen "veredeln".

Herr Schwarz stellte anschließend fest, daß die Schule den Menschen nicht allein veredeln könne. Bei der Vermittlung von Leistungsbereitschaft und Werten seien auch die Eltern in die Pflicht zu nehmen. An dieser Stelle kam ein Einwurf aus der Zuhörerschaft, der bemängelte, daß es der Schule an Kommunikation nach außen (mit Gesellschaft und Wirtschaft) fehle. Die Abiturienten wüßten zu wenig von der Welt außerhalb der Schule.

Der Diskussionsleiter gab diesen Einwurf an Dr. Genn weiter. Dieser erläuterte zunächst einmal, was es in seiner Schulzeit nicht gegeben habe. Anders als heute habe es zum Beispiel damals keine Praktika gegeben. Das Praktikum sei eine Neuerung, die den Schülern außerschulische Horizonte eröffne. Doch dann folgte die einschränkende Feststellung: "Ich habe in der Schule gelernt, wie man lernt." Man dürfe der Schule nicht zuviel aufbürden. Wenn man ein System überfordere, führe dies zum Kollaps. Unabhängig davon könne die Schule die Eltern nicht ersetzen, genauso wenig wie die Eltern die Schule ersetzen könnten. Das gelte für alle Schulen und alle Schularten. Doch wie stehe es um die Erstbeziehung der Kinder zu ihren Eltern? Was könne oder solle die Schule ergänzen, wenn diese Erstbeziehung zu den Eltern nicht vorhanden sei? Man komme dann schnell zu dem entscheidenden Punkt: "Wann und wie investieren wir in Bildung?"

An dieser Stelle meldete ein Ehemaliger, die sich als Abiturient des Jahres 1948 und zweitältesten unter den Anwesenden vorstellte. Er berichtete von dem Schulgeld, das man damals zahlen mußte (20 Mark für das erste und 18 Mark für das zweite Kind) und das für viele Eltern einen Monatslohn darstellte. Er erinnerte mit diesem Beispiel daran, daß es der Generation seiner Eltern bewußt war, daß es ohne Schule nicht ging. Diese Einsicht hatten auch die Schüler, als sie im Jahr 1944, nachdem die Schulen wegen der schweren Luftangriffe geschlossen worden waren, selbst die Initiative ergriffen, um einen notdürftigen Schulunterricht zu organisieren. Sie erstellten in eigener Regie einen Stundenplan, und die Lehrer, die sie ansprachen, folgten ihrer Bitte, in einem Privatquartier Unterrichtsstunden zu geben. 1945 halfen dann die Schüler mit, den Schutt der zerstörten Schule wegzuräumen und strichen die Schulfenster an, "nur um wieder Schule zu haben". Auf diese Weise sei die Liebe zur Schule und zu den Lehrern gewachsen. Die in der vorangegangenen Diskussion gefallene Bemerkung, man erstrebe in Europa eine Abiturientenquote von achtzig Prozent, quittierte er mit dem Hinweis, wenn man das Niveau genügend senke, könne man das Abitur auch nach der achten Klasse vergeben. "Wo das Wasser seicht ist", zitierte er einen seiner früheren Lehrer, "bleiben die Fische klein." Wolfgang Schwarz widersprach diesem Befund nicht und bezweifelte ebenfalls, daß eine Erhöhung der Abiturientenzahlen auch zu einer besseren Wertebildung führe.

Im weiteren Verlauf der Diskussion vertrat Prof. Frings den Standpunkt, daß es die wichtigste Aufgabe des Lehrers sei, die Schüler für sein Fach zu begeistern; dann folgten die Anstrengungen der Schüler von allein. In der Schule hapere es aber an der Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern. Er wies ferner darauf hin, daß leider auch in der Bildung gespart werden müsse, und prophezeite die allgemeine Streichung des dreizehnten Schuljahrs. Zu dem damit verbundenen Bildungsabbau äußerte er sich allerdings nicht. Es stellte auch niemand zur Diskussion, daß trotz dieses Zwangs zum Sparen Milliardenbeträge für den Ausbau kostspieliger Ganztagsschulen Geld bereitgestellt werden.

Jutta Gaide, die aus beruflichen Gründen erst mit einiger Verspätung in die Diskussion eingreifen konnte, stellte fest, daß das Menschenbild der Wirtschaft sich nicht grundsätzlich von dem humanistischen Menschenbild unterscheide. Man müsse selbständig denken können, Entscheidungen treffen und Dynamik entfalten. Die Schule müsse daher überlegen, wie sie das selbständige Denken ihrer Schüler fördern könne. Dafür sei besonders Projektarbeit geeignet. Diese leite die Schüler zur Selbständigkeit an und fördere ihre soziale Kompetenz im Umgang mit Menschen. Im Hinblick auf die Werte meinte Frau Gaide, daß sich Werte in allen Fächern und nicht nur in den klassischen humanistischen Fächern vermitteln ließen.

Die Zeit verging wie im Flug, so daß viele interessante Aspekte nicht ausdiskutiert werden konnten oder erst gar nicht angeschnitten wurden.

Schließlich forderte Wolfgang Schwarz die Diskussionspartner auf dem Podium zu einer Schlußbemerkung auf. Sebastian Bourmer meinte, daß die Vermittlung von Werten nur durch eine intensive Diskussion, keineswegs durch einen Monolog möglich sei. Im Schulunterricht seien solche Diskussionen leider nur in einem bescheidenen Rahmen möglich. Dies liege an den strengen Vorgaben der Lehrpläne mit ihren Vorschriften über den Lehrstoff, der bei den Leistungsmessungen zugrunde zu legen sei. Weihbischof Dr. Felix Genn sah die Schule weiterhin in vielfältigen Spannungsfeldern und gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß Schule auch weiterhin "spannend" bleibe. Prof. Frings rief den Zuhörern ins Gedächtnis zurück, daß jeder Lehrer aufgerufen sei, einen Teil der Vermittlung von Werten zu übernehmen. Ohne Kommunikation gehe das allerdings nicht.

Frau Gaide erklärte, es habe ihr als Schülerin am Kurfürst-Salentin-Gymnasium gefallen. Dessenungeachtet versuchte sie ganz im Sinn der Denkkategorien der Wirtschaft, eine Lanze für den Wettbewerb und eine bessere Kundenorientierung der Schulen zu brechen. Dieses Ziel könne man aber nur erreichen, wenn, genauso wie in der Wirtschaft, eine Konkurrenz zwischen den Schulen, eventuell durch Bildungsgutscheine, aufgebaut würde. Auch in der Schule müsse es Sanktionen geben: Belohnung in Form eines höheren Gehalts für gute Kundenorientierung und Gehaltsabzüge oder gar Entlassung für schlechte Kundenorientierung.

Die Podiumsdikussion war damit zu Ende. Doch die Schlußbemerkung Jutta Gaides führte nach Ende der Veranstaltung unter den Zuhörern recht bald zu kontroversen Stellungnahmen.

Im Anschluß an das Podiumsgespräch lud Eberhard Häckell die Gäste zu einer kleinen Stärkung in einen Nebenraum der Mediothek ein. Dort war Gelegenheit zu ein paar persönlichen Gesprächen, wobei Dr. Wolfgang Fischer den Teilnehmern der Podiumsdiskussion und dem Moderator im Namen des Vorstands unserer Vereinigung ein kleines Weinpräsent als Dank übereichte. Dort hatte Stefan Frisch, der Chefredakteur der Schülerzeitung "Sphinx", auch Gelegenheit zu einem Interview mit Dr. Felix Genn.


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