Dr. Wolfgang Fischer:
Der erste Band von Karl Winds Kriegstagebüchern erschienen
Nach langjähriger Vorarbeit publizierte der Historische Verein Andernach e. V. im November 2003 den ersten Band der Kriegstagebücher des Andernacher Chronisten Karl Wind. Der 1888 in Sinzig geborene Chronist wurde 1939 von Bürgermeister Alois Spaniol mit der Führung einer Kriegschronik beauftragt. Dank dieses offiziellen Auftrags konnte er sich Zugang zu Verwaltungsvorgängen in der Andernacher Stadtverwaltung sowie zu Quellen der NSDAP verschaffen. "Damit", so schreiben die Herausgeber in der Einleitung, "dürfte Karl Wind zu den am besten informierten Bürgern Andernachs zu dieser Zeit gehört haben." Folgende Mitarbeiter waren an der Edition des Manuskripts beteiligt:
- Dr. Wolfgang P. Fischer (August 1939 bis Juni 1940), wobei mein Vorname auf Grund eines Fehlers mit Winfried angegeben wird,
- Reinhard Gilles (Juli bis Dezember 1940),
- Günther Haffke (Januar bis Dezember 1941),
- Frank Neupert (Januar bis Juni 1942),
- Dr. Norbert Wex (Juli bis Dezember 1942)
Das Werk (Ladenpreis 27.90 Euro) umfaßt einschließlich Register 558 Seiten und wurde in der Görres-Druckerei Koblenz gedruckt. Der Buchtitel lautet:
Andernach 1939-1945. Das Kriegstagebuch von Karl Wind. Band 1: September 1939 bis Dezember 1942, herausgegeben vom Historischen Verein Andernach e. V., Andernach 2003
Die Kriegschronik setzt - anders als der Buchtitel erwarten läßt - mit dem 26. August 1939 ein. Die eigentliche Chronik, und zwar in dem Sinn, daß Karl Wind die Ereignisse Tag für Tag aufzeichnete, beginnt jedoch erst mit dem 15. Dezember 1939. Die Wochen und Monate seit Ende August hat Wind, wie er in seinem Vorwort zu seinem Manuskript schreibt, "aus gesammelten Einzelheiten zusammengestellt". In der Einleitung der Herausgeber heißt es ferner:
"Als Leser kann man tatsächlich von Tag zu Tag verfolgen, wie Andernach mehr und mehr von Kriegswirtschaft und Kriegsgeschehen erfaßt, immer stärker dominiert und schließlich total davon beherrscht wurde. Wind berichtet über Spendenaktionen und Winterhilfswerk, über Judenverdrängung und Zwangsarbeiter, über Bombenabwürfe und Truppendurchzüge. Aber er hat auch einen Blick für das 'normale' Leben der Bevölkerung. Er erzählt von den Menschen in Andernach, er schildert ihr Leben, ihre Weihnachts- und Osterfeste, ihr Ein- und Verkaufen, ihre Hoffnungen und Nöte."
Einen großen Platz nehmen auch Informationen über das schulische Leben der Stadt ein, wobei Wind seinen Blick oft auch seinen Blick auf die Stiftische Oberschule für Jungen richtet. So haben wir in der Chronik die einzige Quelle vor uns, die gestattet, den Tod des Studienrats Otto Jünemann auf den 30. September 1941 zu datieren. Gerade die älteren Mitglieder unserer Vereinigung werden dort viele Dinge wiederfinden, die sie persönlich erlebt haben. Unter anderem zitiert der Chronist unter dem Datum vom 30. Juli 1942 auch einen Bericht des Studienrats Franz Scholz über einen Schiffsausflug mit seiner 6. Klasse nach Koblenz, bei der er erlebte, wie der Ausflugsdampfer "Goethe" bombardiert und schwer beschädigt wurde. Der Bericht lautet:
Ich fuhr mit 32 Jungen des Salentingymnasiums nach Koblenz. Die Beteiligung war freiwillig. Ich erklärte während der Fahrt den Schülern die Schönheiten und Eigenarten der rheinischen Landschaft. In Koblenz hatten wir eine Stunde Aufenthalt bis zur Rückfahrt. Die einen gingen hierhin, die anderen dorthin. Auf einmal gab es Fliegeralarm. Statt sich in die Luftschutzkeller zu begeben, blieben die meisten Leute am Ufer und in den Anlagen. Ich hatte mit den Schülern, die ich antraf, den Luftschutzkeller im "Koblenzer Hof" aufgesucht. Mit einem Male gab es einen gewaltigen Krach. Sicher eine Bombe! Schon strömten die Menschen in den sicheren Luftschutzkeller. Mehrere Schüler hatten am Rheinufer den Vorgang bemerkt und erzählten: Ein englisches Flugzeug befand sich in ziemlicher Höhe. Eben war die Schiffsbrücke ausgefahren, um den Köln-Düsseldorfer Dampfer "Goethe" durchzulassen, da sausten zwei Bomben ganz in der Nähe von Brücke und Dampfer in den Strom. Das Wasser spritzte hoch auf. Alles rannte, um sich in Sicherheit zu bringen.
Nach der Entwarnung, die schon nach einer Viertelstunde gegeben wurde, begaben wir uns zur Abfahrtstelle. Hier hatte der Dampfer "Goethe" festgemacht und entließ alle Fahrgäste, denn Splitter hatten den Rumpf unter Wasser getroffen, so daß das Schiff leckte. Es lag schon etwas auf der Seite. Durch den Luftdruck war auf dem Hinterdeck eine Reihe Fensterscheiben des Salons gesprungen, und die Scherben hatten etwa 18 Personen leichte Verletzungen beigebracht. Feuerlöschboote legten an dem Dampfer an und pumpten eindringendes Wasser mit mehreren Schlauchleitungen aus. Der nächste Dampfer zu Tal nahm uns wie auch die Fahrgäste des Dampfers "Goethe" mit, die alle einen ordentlichen Schrecken bekommen hatten. Als wir in Andernach ankamen, hieß es schon, in Koblenz seien durch fünf Bomben 18 Fahrgäste des Dampfers getötet worden, andere wollten wissen, es seien 20 gewesen und das Schiff sei schwer beschädigt worden.
Franz Scholz spricht in diesem Bericht nicht von der Stiftischen Oberschule für Jungen, sondern vom "Salentingymnasium". Der Gedanke, das Gymnasium nach dem Kurfürsten Salentin zu benennen, wurde jedoch erst 1952 von Dr. Werner Langer und Dr. Paul Verbeek in einer gemeinsamen Besprechung in Bonn ersonnen, vom Verwaltungsrat des Stiftsgymnasiums aufgegriffen und im Januar 1953 in den Text des Verstaatlichungsvertrags der Schule übernommen. Diese Tatsache und die ungewohnte Schreibweise für das Kurfürst-Salentin-Gymnasium sind ein eindeutiger Beweis dafür, daß dieser Bericht erst kurz nach dem Abschluß des Verstaatlichungsvertrags, also 1953, verfaßt und von Wind nachträglich in seine Chronik eingefügt wurde.
Anders verhält es sich mit einem Schreiben, das Studienrat Arnold Müller in seiner Eigenschaft als Ortsgruppenamtsleiter der NSADP am 23. Juli 1940 an Bürgermeister Alois Spaniol richtete und in dem er berichtete, wie schwer es ihm falle, "als Vertreter der Ortsgruppenleitung und des Ortsgruppenleiters" den Familien die traurige Nachricht zu überbringen, daß der Vater oder der Sohn im Krieg gefallen sei. Dieser Brief lag dem Chronisten im Original vor und befindet sich heute in der Sammlung Wind des Landeshauptarchivs Koblenz (LHAK, Best. 612, Sammlung Wind, Mappe NS 24), wo ich ihn vor gut einem Jahr abgeschrieben habe.
Im Jahr 1942 wurden die Schüler der Andernacher Stiftischen Oberschule für Jungen zur Erntehilfe herangezogen. Der Herbsteinsatz begann am 15. September 1942 (dem Tag der Anreise) und endete am 17. Oktober 1942 (Rückreisetag). Zu diesem Einsatz notierte Karl Wind in seiner Kriegschronik unter dem Datum des 20. September 1942:
Die Schüler und Schülerinnen der Oberschulen (der oberen Klassen über 15 Jahre) sind nun schon seit einer Woche bei der Ernte tätig und auf die Dörfer der engeren und weiteren Heimat verteilt, unter Aufsicht der Lehrer und Lehrerinnen als Lagerführer. Die Kinder sind aber meist nicht in Lagern untergebracht, sondern wohnen und schlafen bei den Bauern. Wie die Lehrer sagen (Pgg. Anton und Arnold Müller), gefällt es den Kindern (von Ausnahmen abgesehen, wie der Chronist von einigen Eltern hörte) meist gut. Sie müssen zwar ungewohnte und daher für sie zunächst recht schwierige Arbeit leisten, woran sie sich aber meist schnell gewöhnen, und erhalten dazu vielfach eine Beköstigung (Fleisch und Fett), wie sie es zu Hause nicht mehr gewohnt sind.
Oberstudiendirektor Brinckmann hatte verfügt, daß Studienrat Anton Müller als "Lagerleiter" für die Klasse 6 a und den Studienrat Arnold Müller für die Klasse 6 b eingesetzt wurden (LHAK, Best. 403 Nr. 17506, S. 99: Meldung Brinckmanns an O. P. vom 18. Mai 1942 Tgb. Nr. 393). Ich konnte aber noch nicht herausfinden, wo die beiden Studienräte und damit ihre Schüler ihren Einsatz ableisteten. Vielleicht befindet sich unter den Leser dieser Zeilen jemand, der mir nähere Auskünfte geben könnte. Doch unabhängig davon kann jedem Ehemaligen der Kauf des Buches empfohlen werden.