Quelle 9:
Am 8. 8. 43 wurde ich von den Gestapobeamten Göbel und Müller in meiner Wohnung Kruft, Hochstraße 15, verhaftet unter dem Verdacht der Beteiligung an einer Bande. Wie sich später herausstellte, war durch Briefunterschlagung ein versiegelter Brief von mir in die Hände der Gestapo gelangt. Darin war eine Einladung zu einer Versammlung der Führer der einzelnen "MT-Ortsgruppen" in Kruft enthalten. Durch einen harmlosen Brief, den ich von meiner Heimatflak-Truppe nachschickte, war dem Empfänger bedeutet worden, er solle nicht kommen zu seinem angemeldeten Namenstagbesuch. Auch dieser Brief war abgefangen worden, daraus kam man auf meine Adresse, und es erfolgte die Verhaftung. Die beiden Beamten durchstöberten meine Sachen und fanden folgende Schriftstücke und Gegenstände: 1. Originalkladde eines Rundschreibens, in dem wegen Rekrutierungsmaßnahmen der SS und ihre Umgehungsmöglichkeit aufgeklärt wurde, 2. Originalkladde eines Erlasses zur Sabotage der Fahrradsammlung der Naziregierung, 3. Eine Originalkladde, worin die Ausweisung eines Mitgliedes verfügt wurde, 4. Eine Erkennungsmünze der M.-T. Betrifft: Sache Paul Oswald - Michael-Truppe Paul Oswald, ehemaliger Gestapobeamter in Koblenz Hans Clemens Weiler, geb. am 13.4.1927 zu Kruft (Kreis Mayen, Bez. Koblenz), wohnhaft zu Kruft, Hochstraße 15, gibt zur Sache P. Oswald -"Michael-Truppe" folgende Aussagen eidesstattlich zu Protokoll: Am 8. 8. 43 wurde ich von den Gestapobeamten Göbel und Müller in meiner Wohnung Kruft, Hochstraße 15, verhaftet unter dem Verdacht der Beteiligung an einer Bande. Wie sich später herausstellte, war durch Briefunterschlagung ein versiegelter Brief von mir in die Hände der Gestapo gelangt. Darin war eine Einladung zu einer Versammlung der Führer der einzelnen "MT-Ortsgruppen" in Kruft enthalten. Durch einen harmlosen Brief, den ich von meiner Heimatflak-Truppe nachschickte, war dem Empfänger bedeutet worden, er solle nicht kommen zu seinem angemeldeten Namenstagbesuch. Auch dieser Brief war abgefangen worden, daraus kam man auf meine Adresse, und es erfolgte die Verhaftung. Die beiden Beamten durchstöberten meine Sachen und fanden folgende Schriftstücke und Gegenstände:
- 1. Originalkladde eines Rundschreibens, in dem wegen Rekrutierungsmaßnahmen der SS und ihre Umgehungsmöglichkeit aufgeklärt wurde,
- 2. Originalkladde eines Erlasses zur Sabotage der Fahrradsammlung der Naziregierung,
- 3. Eine Originalkladde, worin die Ausweisung eines Mitgliedes verfügt wurde,
- 4. Eine Erkennungsmünze der M.-T.
Ich war gezwungen, alle Namen derjenigen, die unter Tarnbezeichnungen in diesen Schriftstücken aufgezeichnet waren, nach und nach zuzugeben. So kam es, daß zudem durch andere Verdachtsmomente bekräftigt (z.Bsp. Verwandtschaft, Freundschaft usw.) folgende Personen verhaftet wurden:
- Willi Lohner, Niedermendig,
- Alfons Ochtendung, Kruft(vermißt im Westen),
- Hermann Schütz, Kruft (gefallen im Osten),
- Ludwig Schütz, Kruft,
- Rudolf Bläser, Kruft-Kretz (dieser aber erst zwei Tage später),
- Franz Etscheid, Kell.
Die Gestapo erhielt während der Verhöre lediglich von der Mitgliedschaft folgender Personen noch Kenntnis:
- Joseph Nell, Kruft,
- Engelbert Mauermann, Bell (gefallen),
- Franz Reiff, Kruft,
- Ludwig Schütz, Kruft,
Der Tag der Verhaftung war ein Sonntag. Am folgenden Tag gab es Verhöre. Erstmals war dabei Oswald zugegen, der von nun an die Sache in die Hände nahm. Auch die folgenden Tage wurden die Verhöre fortgesetzt. Zwischendurch war aber des Nachts öfter Fliegeralarm. Daher konnten wir trotz aller Bewachung Anweisungen austauschen, und so retten, was irgendwie noch zu retten war. Ich verhütete durch meine Aussagen die Verhaftung einiger Obengenannter. Alle weiteren Mitglieder der "Michael-Truppe" blieben ebenfalls durch die vorsichtigen Aussagen auch der übrigen Verhafteten vor der Entdeckung bewahrt. Ich selbst gab ein recht langes Protokoll zu Papier. Ich vermied verdachterregendes Schweigen. Ich gab an, die Ausdrücke, die in den gefundenen Schriftstücken gebraucht wurden, und die auf einen größeren Umfang der Truppe schließen ließen, seien als Aufbauschung benutzt worden. Ich versuchte mit Erfolg, vielen Dingen einen harmloseren Anstrich zu geben, sie als nichts mit der Sache zu tun habend zu bezeichnen. So mußte die Gestapo den Eindruck haben, als ob es sich um einen kleinen lächerlichen Verein handele, der zwar staatfeindlich gesinnt war, aber an sich nur große Töne spucken würde. Zumal keine Waffen gefunden worden waren, die Pläne und alles sonstige Material noch versteckt blieb oder vernichtet werden konnte, hatte die Gestapo keine Beweise des Gegenteils. Ich behauptete sogar, ich habe die Sache aus Geltungsbedürfnis angezettelt, da ich es in der HJ nicht zu einem Posten habe bringen können wegen meiner religiösen Einstellung usw.
Aber Oswald suchte nach Hintermännern, die er als Urheber der Sache vermutete. Es folgten vier Wochen zermürbender Einzelhaft, die Verpflegung war denkbar schlecht, meine Gewichtsabnahme in diesen vier Wochen betrug 7 kg. Dennoch wurde es unseren Angehörigen nicht erlaubt, Lebensmittel zu überbringen. Mir ins Gesicht versprach Oswald mit seiner immer gleich aussehenden Miene, es gestatten zu wollen, und doch war nicht die geringste Spur Wahrheit in diesem Versprechen. Er schien vielmehr die psychologische Wirkung des zermürbenden Hungers auf unsere Standhaftigkeit bezüglich der Verschweigung der nur vermuteten Hintermänner nutzen zu wollen.
Am 6.9.43 erlaubte er unseren Angehörigen einen 15-Minuten-Besuch unter strenger Aufsicht. Am Tage darauf brachte er uns selbst zum Jugenddienstlager Stahleck. Dies war ein verschärftes Wehrertüchtigungslager zum Zwecke der Erziehung von Jugendlichen, die sich irgendwelcher Vergehen, bes. Beleidigungen gegen NS-Führer, Versäumung des HJ-Dienstes usw. schuldig gemacht hatten.
Oswald brachte uns selbst den steilen Fußpfad hinauf zusammen mit einem weiteren Gestapobeamten. Er sprach mit der Lagerleitung. Wie ich nach und nach von den Ausbildern und dem Lagerleiter wortweise erfuhr, ordnete er unsere "Aufbewahrung" in Einzelzellen bei Arrestverpflegung an. Da aber nur zwei Arrestzellen vorhanden waren, so wurden Lohner und ich in diese gesperrt. Die anderen vier Kameraden aber wurden bei den übrigen Lagerinsassen untergebracht. Am folgenden Morgen Verhör durch den Lagerführer Struth. Nachdem er sich ein Bild gemacht hatte, sagte er (fast wörtlich): "Du weißt wohl, daß das Hochverrat ist. Du weißt auch wohl, daß sowas den Kopf kostet. Euer Kopf sitzt locker. Wenn Euch noch etwas retten kann, dann ist es Eure Jugend. Ich will versuchen, was sich machen läßt, wenn Ihr natürlich Eure Gesinnung innerlich ändert. Hunger ist zwar der beste Lehrmeister, um gerade jungen Menschen, wie Euch, die Flausen aus dem Kopf zu treiben. Die Gestapo hat mir aufgetragen, Euch bei Wasser und Brot zu halten, dort oben im Turm. Aber ich will Euch herauslassen, Ihr sollt mit den anderen arbeiten. Nur abends kommt ihr dort oben rein (er meinte die Arrestzellen). Ich handele dabei gegen die Anordnung der Gestapo".
Der Dienst, den die folgende Zeit brachte, war zwar schwer, er bestand aus Bodenarbeiten und sog. Wehrertüchtigung. Doch die Verpflegung machte das einigermaßen wett. Nach und nach gelang es uns die besonderen Schikanen zu vermeiden. Später wurde daraus schon mehr eine Hervorhebung und Schonung, herbeigeführt durch das Vertrauen der Ausbilder und der Lagerleitung. Am 8.10. wurden die vier Kameraden plötzlich entlassen. In einer sog. Abschiedsrede wurden sie von dem Lagerführer als Mitläufer bezeichnet. Während unseres Aufenthaltes auf Stahleck wurden wir natürlich öfters wieder verhört. Doch geschah dies, so hatte ich den Eindruck, weil man sich über die Schwere des uns bevorstehenden Schicksals im Klaren war und uns durch Intervention aus der Klemme herauszuhalten versuchte. Dazu war natürlich die Kenntnis unseres Charakters von Wichtigkeit, und daher kamen auch diese Verhöre. Einer der Ausbilder hat einmal Willi Lohner gegenüber geäußert, der Lagerführer Struth habe uns auf Grund seines großen Einflusses den Kopf gerettet. Die Gestapo hätte es anders vorgehabt. Sie hätte die Absicht gehabt, uns dem Volksgericht zu übergeben.
Am 8. 12. 1943 wurden wir beide plötzlich nach Koblenz gebracht. Dort ließ man uns den ganzen Tag in einem Zimmer eingeschlossen warten. Am Abend erschien ein Beamter, der uns erklärte, er müsse uns nach Mitteldeutschland bringen. Der Beamte wollte uns anschließen, aber auf unser Ehrenwort hin ließ er davon ab. Wir fuhren mit dem Nachtschnellzug Koblenz-Kassel-Hannover bis nach Göttingen. Erst im Laufe des Vormittags erreichten wir unseren Bestimmungsort, das "Jugendschutzlager Moringen/Solling", das sich sehr bald als ein KZ entpuppte. Der begleitende Gestapomann hatte neben den üblichen Papieren einen fix und fertig ausgestellten roten Schutzhaftbefehl bei sich, der mir zur Unterschrift vorgelegt wurde. Es war darin zu lesen: "...bis auf weiteres in Schutzhaft". Das Jugendschutzlager schloß seine Pforten hinter uns.
Ein Jahr schwerster Arbeit in einem Salzbergwerk, das als Munitionsfabrik hergerichtet war, zum Teil in gasverseuchten Stollen (Transport von Azin, das zur Gasgranatenherstellung verwendet werden sollte), dabei schlechteste Verpflegung und die üblichen Schikanen genügten, um meine Gesundheit zu untergraben.
Ich erkrankte, zuerst war es Rippenfellentzündung, dann wurde es Tbc. Am 6. April 1945 wurde das Lager aufgelöst, wir Gefangenen in Richtung Osten geschleppt, und wenige Tage darauf floh die SS-Bewachung vor den anrückenden amerikanischen Truppen.
Nur durch deren Vormarsch gelangten wir in die Freiheit. Denn von einer Entlassung war normalerweise keine Rede. Lediglich die Verzweiflung des Regimes, das noch in letzter Minute Soldaten aus dem Boden stampfen wollte, brachte in den letzten Wochen Entlassungen zur Wehrmacht usw. So sollte auch Lohner Anfang März zur Waffen-SS. Doch, kaum in Freiheit, entzog er sich der Einberufung.
Ich trage noch heute an den Folgen der Krankheit, die ich mir in Moringen zuzog. Im März wurde durch amtsärztliche Untersuchung der Prozess noch als aktiv bezeichnet und die Erwerbsminderung auf 70% festgesetzt.
Kruft, den...... 1947
Hans-Clemens Weiler