Quelle 7:
Freitag, 6.4.1945: Abends Ausgabe der Marschration von 1000 g Brot. Abmarsch in Richtung Northeim 9.15 Uhr. Wir marschierten ca. 35 km. Ich selbst klappte nach 15 km zusammen, weil ich mehrere Wochen im Lazarett gelegen hatte und noch ziemlich schwach war. Trotzdem mußte ich mit. Ich mußte mich weiterschleppen und war zum Schluß wieder halbwegs auf den Beinen. Die SD-Leute hatten ihr Gepäck auf Handwagen geladen, und die Jungen mußten diese abwechselnd ziehen.
Sonnabend, 7.4.: Mit allen 500 Mann Quartier in einer Scheune. Wir erhielten saures, ungenießbares Mittagessen, das nur wenige herunterwürgten. Sonst nichts zu essen. Viele requirierten auf dem Hofe Viehrüben und aßen sie. Abends wurden 38 Kranke ausgesondert (teils mit Fußwunden, Lungenkranke und andere, die in der Nacht umgeklappt sind, darunter auch ich). Die übrigen marschierten wieder in die Nacht hinein. Wir blieben in der Nacht noch in der Scheune.
Sonntag, 8.4.: Die Kranken werden um 6 Uhr auf zwei Pferdewagen geladen. Vom SD sind nur noch wenige zu sehen. Die beiden Fuhrleute erhalten Befehl, sich auf der Straße Seesen-Goslar zu halten, und die SD-Leute verschwinden. Wir fahren ohne Essen los. Unterwegs lesen wir einen Jungen aus dem Straßengraben auf. Er war in der Nacht zusammengebrochen, und die SD-Leute hatten ihn in den Straßengraben getreten mit der Bemerkung: "Nimm Dir 'ne Kerze und verrecke". Ein anderer war in Seesen zurückgeblieben, wo die Polizei ihn mit uns mitschickte. Es war ein kleiner Knirps von 14Jahren, wenn ich mich recht erinnere hieß er "Hut". Nach 30 km setzten uns die beiden Bauern ab, weil sie mit den Pferden zurückkehren mußten. Auf Anordnung eines Gendarmeriewachtmeisters brachten uns zwei Volkssturmmänner zum nächsten Dorf, 6 km. Wir brauchten dazu 2 1/2 Stunden. Dann in Begleitung eines alten Bauern nach Othfresen, weitere 3 km in der Hitze. Man sagte uns, in Othfresen in der Schule seien die Unsrigen. Aber es waren Russen. Im Dorf brechen mehrere zusammen. Immer noch nichts zu essen. Wir werden auf einen Wagen gepfercht und nach Liebenburg gefahren. Dort vor dem Ort abgeladen, schleppen wir uns hinein, vollkommen erschöpft. An einer Kreuzung setzen wir uns auf den Boden, einige fielen um, ein großer Teil hatte Fieber. Die Bevölkerung rannte zusammen, ein Polizeimeister und ein Wachtmeister nahmen sich unserer an. Etwas Essen wird aus einem Lazarett geholt. Außerdem liefen die Frauen, durch unseren elenden Zustand bewogen, nach Hause und brachten zu essen. Wir müssen jedoch noch 3 km weiter nach Neuenkirchen, wo wir in einer Scheune übernachten. Wieder laufen die Leute herbei.
Montag, 9.4.: Morgens bringen uns die Bauern Mehlsuppe. Wir sind noch 35 Mann. Die übrigen blieben gestern unterwegs liegen, keiner hatte mehr darauf geachtet, so stumpf trotteten wir daher. Bernhardt lassen wir hier zurück. Wir anderen marschieren 6 km nach Schladen. Unterwegs an der Kreuzung Goslar und Salzgitter gehen zwölf, die noch einigermaßen auf den Beinen waren, auf eigene Faust los. Die übrigen bitten mich, ich solle die Führung übernehmen, was ich beim Anblick der armen Kerle nicht abschlagen konnte. Wir konnten nicht immer alle zusammen losgehen, es waren unnötige Wege, und viele quälten sich schrittweise weiter. Niemand wollte uns behalten, jeder schob uns so schnell wie möglich weiter. Über uns brummten seit unserem Abmarsch fast immer alliierte Flugzeuge. Am Ortsrand von Schladen lassen wir alle zurück, um unnötiges Marschieren zu vermeiden, und ich gehe mit einem Kameraden zum Bürgermeister. Nach Schilderung unserer Lage bestellt er einen Wagen bis Osterode a. Fallstein für 1 Uhr. Wir laufen zum Roten Kreuz, wieder zum Bürgermeister, zur NSV und zu einer Werkküche und erreichen endlich, daß wir etwas Mittagessen erhalten. Um 1 Uhr mit dem Wagen nach Osterode. Weiter 6 km nach Veitheim. Wir sind noch 19. Der Bürgermeister legt uns in eine Scheune, sorgt, daß wir zu je zwei Mann bei den Bauern speisen. Er verspricht uns weitere Hilfe. Dem alten Mann kamen die Tränen. Ich selbst speise bei einer Frau, die auf dem Jugendamt angestellt ist. Ich habe ihr aber über Jugenderziehung etwas anderes erzählt.
Dienstag, 10.4.: Am Morgen werden wir noch einmal verpflegt, und dann gehen wir mit 13 Mann nach Osterwick. Dort verweigerte man uns beim Bürgermeister jede Hilfe. Im Norden und Süden ist schon Geschützdonner zu hören. Wir zerstreuen uns. Ich selbst gehe mit Mannhardt und Riekhoff nach Bersel. Dort rufen uns mitleidige Frauen von der Straße weg zum Mittagessen. Die Wehrmachtküche hatte uns rausgejagt. Wir gehen weiter nach Deersheim, wo wir beim Müller Unterkunft erhalten, sogar richtige Betten.
Mittwoch, 11.4.: Um 8 Uhr kommt die amerikanische Panzerspitze. Kameraden, die ich einige Tage darauf traf, sagten uns: Nach drei Nachtmärschen zogen die SD-Leute Zivilkleider an und flohen mit dem Verpflegungsauto.
Papiere, die den Aufenthalt und Durchmarsch durch Neuenkirchen und Schiaden bescheinigen, sind noch in meinem Besitz.
gez. H.-Cl. Weiler